Ernährungspsychologie,  Ernährungswissen

Übergewicht bei Kindern – Was kann ich tun?

Wir starten diesen Artikel mit ein wenig Klugscheißerwissen: In den Jahren 2014-2017 wurden 15,4 % der deutschen Kinder im Alter zwischen 3-17 Jahren als übergewichtig und rund 5,9 % als adipös, also stark übergewichtig1 eingestuft. Die Sorge der Eltern wird durch reißerische Schlagzeilen der Medien über gesundheitliche Auswirkungen noch gefördert. On top kommt der Leidensdruck der Kinder. Denn der Glaube, dass übergewichtige Menschen faul sind und non-stop Süßigkeiten essen, hält sich nach wie vor hartnäckig. Dieses Vorurteil findet sich selbst heute noch in Kinderbüchern. Die dicken Protagonisten werden gern als dauerfutternde Tollpatsche dargestellt. Und so verfestigt sich das Bild der Gesellschaft gegenüber Übergewichtigen. Für Kinder eine katastrophale Situation, die einen meist langen Leidensweg zur Folge hat.

Selbstverständlich wollen Eltern ihre Kinder vor Mobbing aufgrund ihres erhöhten Gewichtes bewahren und setzen den Nachwuchs auf eine Diät. Und hier beginnt der Teufelskreis.

Kalorienreduzierte Diäten funktionieren durchaus kurzfristig sehr gut und führen zum Teil zu einer schnellen Gewichtsreduktion. Auf Dauer ist eine starke Kalorienrestriktion jedoch keine gute Lösung. Wer schon einmal eine Diät zur Gewichtsreduktion gemacht hat, weiß, dass irgendwann die Pfunde aufhören zu purzeln. Das liegt unter anderem daran, dass der Körper Alarm schlägt und den Stoffwechsel auf ein Minimum runterfährt. Aus Sicht des Körpers eine ganz logische Konsequenz, denn er weiß ja nicht, dass uns keine Hungersnot bevorsteht. Der Körper versucht so sparsam wie möglich mit dem, was er bekommt, zu haushalten und die Energie nur für das Nötigste zu nutzen. Das ist ähnlich wie bei einem Bankkonto: Wenn ich, sagen wir mal jeden Monat 10.000 Euro auf mein Konto bekomme, gönne ich mir gern den Besuch im Fitnessstudio, regelmäßiges Essen gehen und den ein oder anderen Kinoabend. Sinkt mein monatlich verfügbares Einkommen auf einmal auf 3.000 Euro, ist der eben aufgelistete Freizeitspaß nicht mehr drin. Das Geld wird für elementare Dinge, wie die Wohnungsmiete und Essenseinkäufe, benötigt.

Wenn die Diät beendet ist und das Kind zum vorherigen Essverhalten zurückkehrt, folgt die nächste Frustration: der Jo-Jo-Effekt. Und das ganze Spiel geht wieder von vorne los. Um aus dieser Diätspirale herauszukommen, macht es meiner Meinung nach vor allem Sinn nach den Ursachen hinter dem Ernährungsverhalten zu schauen.

Kinder sind an sich sehr gut im Einklang mit ihrem Hunger- und Sättigungsgefühl. Oft verlieren sie mit den Jahren durch auferlegte Regeln à la „du musst den Teller aufessen“ oder „ohne Frühstück geht es nicht aus dem Haus“ auf ihren Körper zu hören. Zusätzlich trainieren wir Kindern manchmal den Griff zum Schokoriegel an, wenn sie sich zum Beispiel wehgetan haben oder traurig sind. Ich habe meinen Kindern auch schon Gummibärchen gegeben, wenn die Tränen geflossen sind. Und es danach bereut. Denn so erzieht man sich hervorragend emotionale Esser heran, die bei ähnlichen Situationen wieder beherzt zur Süßigkeit greifen. Essen hat eine beruhigende Wirkung und dient auch uns Erwachsenen oftmals als Ventil für unerfüllte Bedürfnisse. Ein Beispiel: Das Kind kommt aus dem Kinderzimmer in dem es gerade eine Stunde lang für sich gespielt hat und fragt nach einem Eis. Es mag durchaus sein, dass das Kind Hunger auf schnellverfügbare Energie hat. Es kann aber auch sein, dass dem Kind einfach langweilig ist. Wenn nun das Gefühl gerade nichts mit sich anfangen zu können durch Essen befriedigt wird, kann sich ein solches Verhaltensmuster verfestigen. Manchmal ist Langeweile auch mit dem Gefühl der Einsamkeit gekoppelt und ein gemeinsames Spiel oder eine Umarmung würde das ursächliche Problem bereits lösen. Ein weiteres Beispiel: Ein Kind ist traurig, weil es sich mit einem befreundeten Kind gestritten hat. Auch hier ist Essen nicht die Lösung, da nicht der Hunger das Problem ist. Hat das Kind Essen aber bereits als Ventil für Traurigkeit gelernt wird es immer wieder bei gleichen Gefühlen in dieses Verhaltensmuster zurückfallen. Dieses emotionale Essen kann früher oder später zu Übergewicht führen.

Nun schauen wir doch noch einmal kurz auf die vermeintliche Lösung der Kalorienrestriktion. Ganz grob vereinfacht: Kinder mit einem emotionalen Ungleichgewicht wie etwa Trauer oder Langeweile, wird bei einer Diät das Ventil zum Ausgleich der Gefühle genommen, ohne die Ursache zu bekämpfen. Am Essenstisch wird vielleicht nur die halbe Scheibe Brot angeboten, obwohl das Kind Hunger auf mehr hat. Und vielleicht geht das Kind sogar mit einem Hungergefühl und seinen Problemen ins Bett. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, macht es durchaus Sinn, auf die Ursachen für das emotionale Essen zu schauen. Es hilft zum Beispiel zu beobachten, in welchen Situationen das Kind zum Essen greift. Und entsprechend mit dem Kind zu reflektieren, ob es wirklich Hunger hat. Wenn das Kind hungrig ist, wird es auf das Essen bestehen und wir können ganz entspannt auf die Bedürfnisse des Kindes vertrauen. Manche zugrundeliegenden Probleme, wie vielleicht der Verlust eines Familienmitgliedes oder die Scheidung der Eltern, lassen sich nicht einfach lösen.

Das Ziel sollte also vor allem sein nach Strategien zu suchen, die es dem Kind ermöglichen mit seinen Gefühlen umzugehen. Dann kann Essen auch wieder in vollen Zügen genossen werden. 

Die Frage, ob Diäten aus meiner Sicht sinnvoll erscheinen, kann ich klar mit Nein beantworten. Diäten vermitteln unseren Kindern in erster Linie, dass ihr Selbstwert vor allem durch das Gewicht auf der Waage definiert wird. Denn nicht zwangsläufig sind dünne Menschen die gesünderen. Zudem braucht der Körper unserer Kinder für seine Entwicklung genügend Energie und Nährstoffe. Diese bekommt er hervorragend über eine ausgewogene Ernährung.

Besonders nachhaltig ist diese Form der Ernährung, wenn auf die Körperintelligenz, also das intuitive Essen des Kindes vertraut wird. Dieses kann auch wieder erlernt werden, wenn die Signale des Körpers von Hunger und Sättigung nicht mehr gut wahrgenommen werden. 


Literatur

1.  Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. Einsehbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/FactSheets/JoHM_01_2018_Adipositas_KiGGS-Welle2.pdf?__blob=publicationFile eingesehen am 21.3.2021.

Hey, ich bin Sonja. Schön, dass du da bist! Ich bin hier der Ernährungsnerd, denn das große Feld der Ernährung fand ich schon immer spannend. Also hab ich das Ganze kurzerhand studiert, immer weiter vertieft und noch ein wenig Ernährungspsychologie on top gesetzt.

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