Kann man Kinder guten Gewissens vegan ernähren?
Es gibt ja viele Themen, die Eltern in zwei Lager spalten. Eines davon ist sicherlich die vegane Kinderernährung. Nicht nur unter Eltern ist dies ein kontrovers diskutiertes Thema. Selbst Ärzte und Ernährungsfachkräfte sind sich oft Uneins. Während die einen diese Ernährungsform als eine Kindswohlverletzung beschreiben, loben andere den Veganismus als die gesündeste Ernährungsform. Beide Meinungen sind natürlich wenig differenziert und damit so nicht der Realität entsprechend.
Wir widmen uns in diesem Artikel der Frage, ob es möglich ist Kinder vegan zu ernähren oder ob die reine Pflanzenkost immer zu Mangelerscheinungen führt.
Erstmal vorab: Wer sich vegan ernährt, verzichtet komplett auf tierische Lebensmittel. Also nicht nur Fleisch und Fisch werden vom Speiseplan gestrichen, sondern auch Eier, Milchprodukte und Honig. Veganer verzichten oftmals auch in anderen Lebensbereichen auf Produkte mit tierischen Bestandteilen, wie etwa Haut- und Haarpflegeprodukte oder Lederwaren.
Die Gründe sich für eine rein pflanzliche Kost zu entscheiden sind vielfältig.
Die häufigsten sind gesundheitlicher, ökologischer aber vor allem ethischer Natur.
Ist eine vegane Ernährung gesund?
Sich vegan zu ernähren beschreibt erst einmal nur, welche Lebensmittel bei dieser Ernährungsweise weggelassen werden. Ob die Auswahl der Lebensmittel gesundheitsförderlich ist oder nicht, kann nicht pauschal beurteilt werden.
Die folgende Lebensmittelzusammenstellung ist zwar vegan, aber nicht ausgewogen und vollwertig:
Morgens: Weizentoast mit Marmelade
Mittags: Nudeln mit Tomatensauce und veganem Käse
Abends: Weizengriesbrei mit Mandelmilch
Genau wie bei einer mischköstlichen oder vegetarischen Ernährung, kommt es auf die Zusammenstellung der Lebensmittel über einen längeren Zeitraum an. Denn auch bei anderen Ernährungsformen gibt es in der Bevölkerung durchaus Mangelzustände aufgrund einer nährstoffarmen Lebensmittelauswahl.
Kann man nun aber Kinder guten Gewissens rein pflanzlich ernähren?
Die kurze Antwort lautet: Ja.
Die wissenschaftliche Datenlage zeigt, dass die vegane Ernährungsweise in jedem Lebensabschnitt möglich ist. Die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) initiierte „Vegetarische und vegane Ernährung bei Kindern und Jugendlichen (VeChi-Youth)”-Studie untersuchte die Auswirkung verschiedener Ernährungsformen auf die Nährstoffversorgung von Kindern und Jugendlichen. Die Studie konnte nachweisen, dass sowohl bei veganer, vegetarischer als auch mischköstlicher Ernährung die Versorgung mit den Hauptnährstoffen (Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß) sowie den meisten Vitaminen und Mineralstoffen bei der überwiegenden Anzahl der Studienteilnehmer*innen ausreichend gewährleistet ist.
Die etwas längere Antwort beinhaltet ein: Ja, aber.
Denn bei einer veganen Ernährung gilt es sich besonders gut zu informieren. Sowohl der Kalorien- als auch der Nährstoffbedarf müssen, wie bei jeder anderen Ernährungsform, gedeckt und somit die Nahrungsauswahl sinnvoll zusammengestellt werden.
In der Tat gibt es kritische Nährstoffe, auf die bei einer reinen Pflanzenkost geachtet werden sollte. Vitamin B12 ist darunter der kritischste Nährstoff und muss zwingend über Nahrungsergänzungsmittel ergänzt werden.
Weitere essentielle Nährstoffe, auf die geschaut werden sollte sind:
Omega-Fettsäuren, Proteine, Mineralstoffe (Calcium, Eisen, Jod, Zink, Selen) sowie Vitamine (Riboflavin, Vitamin D).
Schauen wir uns einige Nährstoffe genauer an:
Vitamin B12
Vitamin B12 kommt tatsächlich nur in tierischen Lebensmitteln vor. Durch bestimmte Bakterien im Darm können Tiere dieses Vitamin selbst produzieren. So gelangt es dann durch Verzehr von beispielsweise Fleisch auch auf den menschlichen Speiseplan.
Vitamin B12 ist unter anderem essentiell für unsere Nerven, der Zellteilung, das Zellwachstum und die Bildung roter Blutkörperchen, aber auch der DNA und RNA. In Wachstumsphasen wird das Vitamin demnach besonders gebraucht. Ein Mangel kann tatsächlich gravierende Folgen haben. Daher sollte eine Supplementierung, also die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitamin B12 in jedem Fall bei pflanzlicher Ernährung stattfinden.
Interessant zu wissen ist, dass die meisten Tiere heute ebenfalls Vitamin B12 über das Futter zugesetzt bekommen. Denn die Nutztierhaltung ermöglicht es den Tieren nicht, die notwendigen Bakterien durch zum Beispiel Grasen auf der Weide aufzunehmen.
Durch den richtigen Fermentationsprozess könnte Vitamin B12 in Zukunft übrigens auch in pflanzlichen Produkten angereichert werden. Bis dies richtig erforscht ist, bleibt die Empfehlung einer Nahrungsergänzung bestehen.
Omega-3-Fettsäuren
Diese Fettsäuren sind besonders wichtig für die Gehirnentwicklung. Bekannte Quellen für Omgea-3-Fettsäuren sind fettiger Fisch, wie Lachs. Über eine pflanzliche Ernährung lassen sich ebenfalls Omega-3-Fettsäuren zuführen. Diese müssen jedoch, anders als beim Verzehr tierischer Lebensmittel, erst in die aktiven Fettsäuren umgewandelt werden. Eine Supplementierung ist daher ratsam und problemlos über beispielsweise Algenöle möglich. Dieses lässt sich hervorragend für zum Beispiel Salate verwenden.
Eisen
Bis vor wenigen Jahren galt pflanzliches Eisen als “minderwertig” und schlecht für den Körper verfügbar. Heutige Daten zeigen aber, dass diese Annahmen überholt sind. Besonders gut untersucht ist die Aufnahme von Eisen aus Hülsenfrüchten. Die Verfügbarkeiten in anderen pflanzlichen Lebensmitteln, wie Nüssen oder Vollkorngetreiden wurde noch nicht ausreichend untersucht. Daher lässt sich hier keine finale Empfehlung ableiten. In einer gut zusammengestellten veganen Ernährungsweise ist die Bedarfsdeckung dieses Spurenelementes in jedem Fall möglich. Die gleichzeitige Aufnahme von Vitamin C oder das Erhitzen bzw. Fermentieren von Lebensmitteln erhöht die Eisenaufnahme zudem.
Was sagen unsere Ernährungsgesellschaften?
Führende Ernährungsgesellschaften sind sich im Übrigen einig, dass Menschen den größten Teil ihrer Ernährung über pflanzliche Lebensmittel decken sollten. Einige internationale Fachgesellschaften wie die Academy of Nutrition and Dietetics (USA), die Dietitians of Canada (Kanada), die British Nutrition Foundation (Großbritannien), das National Health and Medical Research Council (Australien), das Directorate General of Health (Portugal) und das Nordic Council of Ministers (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden, Färöer-Inseln, Grönland und Âland) vertreten ferner die Auffassung, dass eine gut geplante vegane Ernährung in jeder Lebenslage geeignet ist. Sie empfehlen diese Ernährungsform also auch für Schwangere und Stillende sowie Säuglinge oder ältere Menschen. Dass die DGE eine vegane Ernährung nicht uneingeschränkt empfiehlt liegt unter anderem daran, dass in Deutschland die Anreicherung von Lebensmitteln des täglichen Verzehrs mit kritischen Nährstoffen derzeit noch nicht gestattet ist. Dabei würde diese Anreicherung auch Personen zu Gute kommen, die eine Ernährungsform mit tierischen Lebensmitteln verfolgen.
Für Mischköstler kann die Umstellung auf eine pflanzlich basierte Ernährung gerade am Anfang durchaus eine Herausforderung sein. Mittlerweile gibt es allerdings viele Ratgeber, Kochbücher sowie gut ausgestattete Supermärkte, die den Einstieg in die tierfreie Ernährungsweise vereinfachen.
Im Januar findet jährlich der “Veganuary” statt. Als kleine Monatschallenge aufgebaut, bekommt man viele Tipps an die Hand. Wer möchte kann ja im kommenden Jahr einmal reinschnuppern.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass eine vegane Ernährung in jedem Alter möglich ist.
Voraussetzung ist, dass die Ernährung durch eine große Vielfalt an verschiedenen, möglichst vollwertigen Lebensmitteln ausgezeichnet ist. Viele vegan lebende Menschen befassen sich sehr genau mit ihrer Ernährung und pflegen einen insgesamt gesunden Lebensstil. So konnte auch die VeChi-Studie zeigen, dass vegetarisch und vegan ernährte Kinder und Jugendliche insgesamt einen hohen Gehalt an Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen in ihrer Ernährung aufwiesen. Gleichzeitig verzehrten sie weniger Süßwaren, Knabberartikel und Fertiggerichte.
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Literatur
Schüpbach, R. et al. Micronutrient status and intake in omnivores, vegetarians and vegans in Switzerland. Eur J Nutr. 2017 Feb;56(1):283-293. doi: 10.1007/s00394-015-1079-7. Epub 2015 Oct 26.
Weder, S. et al. Energy, Macronutrient Intake, and Anthropometrics of Vegetarian, Vegan, and Omnivorous Children (1–3 Years) in Germany (VeChi Diet Study). Nutrients 2019, 11(4), 832; https://doi.org/10.3390/nu11040832
Alexy, U., et al.: Nutrient Intake and Status of German Children and Adolescents Consuming Vegetarian, Vegan and Omnivore Diets: Results of the VeChi Youth Study. 2021. Nutrients 13 (5), 1707. DOI: 10.3390/nu13051707
DGE; ÖGE; SGE. Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, 2. Auflage, 2., Aktualisierte Ausgabe; Deutsche Gesellschaft für Ernährung; Österreichische Gesellschaft für Ernährung; Schweizerische Gesellschaft für Ernährung: Bonn, Germany, 2016; ISBN 978-3-86528-148-7. [Google Scholar]
Richter, M.; Boeing, H.; Grünewald-Funk, D.; Heseker, H.; Kroke, A.; Leschik-Bonnet, E.; Oberritter, H.; Strohm, D.; Watzl, B. For the German Nutrition Society. Vegan diet. Position of the German Nutrition Society (DGE). Ernähr. Umsch. 2016, 63, 92–102. [Google Scholar] [CrossRef]